Ich und die Meinen

Ich und die Meinen

Herzlich willkommen!

So, das bin ich! Ich bin Kurt Palfi. Ich habe mir gedacht, jetzt muss mal ein neues Foto her. Leider hat Onkelchen ein Nacktfoto von mir hochgeladen. Aber ich sehe doch noch recht proper aus!
Wir (das sind ich, mein missratener Sohn Gianni Dona und Onkelchen, der alles für uns tippt) lästern in diesem Blog über alles, was gerade anfällt: Fußball, Politik, Film und Fernsehen, alles Mögliche. Viel Spaß!

Montag, 21. März 2011

Bach auf Speed

Wer diesen Blog in den letzten Wochen verfolgt hat, könnte zu dem irrigen Schluss kommen, dass wir nur behaupten wollten, früher sei alles besser gewesen. Mitnichten! Vieles ist heute besser als früher, zum Beispiel die Telefone (Onkelchen kann auf seinem Telefon auch Radio hören und fernsehen - klasse Erfindung!) oder die Tatsache, dass Computer heute so unerhört viel leisten und dabei eigentlich sehr preiswert sind. Ich denke, die Apollo-Astronauten wären seinerzeit sehr froh gewesen, wenn sie einfach einen heutigen Laptop mit an Bord hätten nehmen können, anstelle der lahmen Kisten, die es damals gab.



Aber ich schweife ab. Ich wollte eigentlich über Johann Sebastian Bach reden, einen der unumstritten größten Komponisten aller Zeiten. Onkelchen bezeichnet ihn manchmal spöttisch-respektvoll als den Feinmechaniker unter den Musikern, weil seine Werke aus seiner Sicht immer etwas Kleinteiliges, Detailversessenes an sich haben. Und dazu kommt, dass Onkelchen sich an Bach immer mehr gerieben hat als an jedem anderen Komponisten, und das begann schon im Schulchor.
Schuld ist die Bach-Kantate "Sie werden aus Saba alle kommen" (BWV 65), die der Schulchor einmal aufführen sollte. Der ansonsten sehr wackere Studiendirektor, der zu dieser Zeit den Chor leitete, versprach unvorsichtigerweise, diese Kantate "würde euch Spaß machen". Nie wurde ein weiser Pädagoge des Faches Musik schlimmer Lügen gestraft! Denn nie geriet das Einstudieren eines Musikstückes für Onkelchen zu schlimmerer Qual. Es lag unter anderem an der Eigenart des besagten Chorleiters, ein Stück zu Anfang nicht einfach anzusingen, sondern es "durchzudüten", bis man die Intonation vollständig im Griff habe. Durchdüten bedeutet, dass für jede Note nicht der Text, sondern die Silbe "Dü" beziehungsweise "Düt" zu singen sei. Erst später, wenn die Intonation glasklar war und man die Melodie blind konnte, sang man das Stück mit Text.
Wenn man nun wie Onkelchen zwar mit Noten ein bisschen etwas anfangen kann, aber das Notenbild eben nicht von selbst in eine Melodie umsetzen kann, ist das eine schreckliche Tortur – vor allem in jenem Bach-Stück, in dem es zahllose Koloraturen und Melodiebögen gibt. Irgendwann ging man rettungslos verloren, dütete immer nur noch geistlos und verloren vor sich hin, ohne zu wissen, wo auf der Partitur man sich befand. Das ging nicht nur Onkelchen so, sondern auch seinem besten Freund, den der Studiendirektor seinerzeit ebenfalls für den Chor gekeilt hatte. Ratlos summte man das üble Getüte mit und hoffte, bei der Aufführung nicht allzu sehr daneben zu liegen. Die Schulaufführungen waren ja eigentlich nur deshalb interessant, weil man einige der hübscheren Damen abwechslungsweise mal im Abendkleidchen sehen konnte. Als Onkelchen erkannte, dass er den Bach mit der Getüte-Methode nicht würde überqueren können, meldete er sich krankheitsbedingt ab und nahm nicht an der Schulaufführung des Marterteils teil. Tante Dilein war dagegen dabei, allerdings war damals an eine Verheiratung der beiden noch nicht im Entferntesten zu denken!

Jetzt kämpft Onkelchen wieder mit Bach, und zwar mit noch viel schwererer Kost, als es "Sie werden aus Saba alle kommen" jemals gewesen war, nämlich der Johannes-Passion (BWV 245). Diesmal muss Onkelchen nicht mehr tüten, er darf von Anfang an Text singen, er kommt mit den Noten besser klar, es müsste doch alles in Ordnung sein, oder?
Mitnichten. Diesmal hat das Übel zwei Worte: Historische Aufführungspraxis.

Die historische Aufführungspraxis versucht, alte Musik so erklingen zu lassen, wie sie (vermutlich) zu Lebzeiten ihrer Komponisten erklang. Zum Beispiel weiß man anhand alter Instrumente, dass die Intonation zu Bachs Lebzeiten in etwa einen Halbton tiefer lag als heute. Das ist eigentlich ganz in Ordnung (in der Regel säuft man beim Singen immer ein bisschen nach unten ab), aber das zweite Merkmal der historischen (Onkelchen verwendet manchmal auch das Wort hysterischen) Aufführungspraxis ist ein irrwitziges Tempo, als würde man mit 78 Umdrehungen anstatt mit 33 1/3 Umdrehungen singen. Sozusagen Bach auf Speed.

Onkelchen hat zum Beispiel eine wunderschöne Aufnahme der Johannespassion von 1976 mit dem Leipziger Gewandhausorchester und dem Thomanerchor, die von der neumodischen historischen Aufführungspraxis noch gänzlich unbeleckt ist. Alles ist bei dieser Aufnahme dort, wo es sein soll: Dramatik wo es nötig ist, getragene Feierlichkeit am rechtenh Ort. Die historische Aufführungspraxis lässt dagegen alles gefühlt doppelt so schnell ablaufen. Denn angeblich war es wohl zu Bachs Zeiten so! Da uns leider aus Bachs Zeitalter weder eine CD noch ein Tonband mit einer Live-Aufnahme auf uns gekommen ist, ist diese Speedmetal-Version von Bachs Passion wahrscheinlich doch eher ein aktuelles Hirngespinst der Musikwissenschaftler - oder seien wir höflicher: Eine Mode.
Es sei nur daran erinnert, dass der große Dirigent Hans Knappertsbusch den "Parsifal" in Bayreuth immer sehr breit, getragen und langsam dirigierte. Er empfand diese Darbietung eben als richtig. Seine 1962 entstandene Aufnahme des "Parsifal" gilt laut Wikipedia heute noch als die definitive Interpretation dieser Oper.
Als dann Anfang der Siebziger der Franzose Pierre Boulez das Dirigentenpult erklomm, war der Parsifal immer schon 45 Minuten früher zu Ende. Boulez galt als Revolutionär, er verteidigte sich dagegen, er habe nur so dirigiert, wie es die Partitur vorgab. Das Ergebnis: Für Knappertsbuch-Aufnahmen des Parsifal braucht man vier CDs, für die von Boulez dagegen drei. Was die echtere, also werktreuere Interpretation gewesen sein mag, ist letztlich Geschmackssache. Aber ob Bach auf Speed die richtige Interpretation ist, sei hier doch zumindest in Frage gestellt.

Keine Kommentare: