Kürzlich geriet Onkelchen ins Sinnieren. Er sah es als
wahrhaft inspirierend an, dass er in einem Biergarten der bayerischen
Hauptstadt saß, während Pep Guardiola nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt
am Fußball der Zukunft bastelte. Blöderweise vertraute er diesen Gedanken einem
sozialen Zwitscher-Netzwerk an. Denn kurz darauf meldete sich ein anderer
Teilnehmer des besagten Zwitscher-Netzwerks, der um Onkelchens Leidenschaft für
den HSV wußte. Und so neckte der andere Teilnehmer mein Onkelchen mit der Zeile
„… und 800 km entfernt verzweifelt Thorsten Fink am Rumpelfussball des HSV.“
Das saß natürlich. Angesichts der momentanen Verfassung des
HSV und seiner Testspiel-Ergebnisse ist es wieder einmal höchst zweifelhaft, ob
die Rothosen ihrer 50. Bundesliga-Saison eine weitere hinzufügen dürfen. Aber
nach dem ersten Ärger drängte sich eine wichtigere Frage in Onkelchens Gemüt,
das zu diesem Zeitpunkt schon in dunklem Weißbier badete. Warum zum Teufel
spricht jeder dahergelaufene selbsternannte sogenannte Experte (und besonders oft die "Süddeutsche Zeitung", die ein Abo auf dieses Wort zu haben scheint) von
Rumpelfußball, wenn es darum geht, die Spielweise einer bestimmten
Fußballmannschaft herabzuwürdigen? Und noch wichtiger, noch fundamentaler: Was
ist eigentlich Rumpelfußball?
Onkelchen hat nun nicht versucht, die Entstehungsgeschichte
des Begriffes „Rumpelfußball“ zu ergründen. Ihn wunderte auf jeden Fall, dass
der ihm persönlich bekannte Zwitscher-Netzwerk-Teilnehmer – ein Bayern-Fan -
das Wort überhaupt verwendet hatte. Denn der Begriff war aus seiner Sicht eher
bei den Leuten beheimatet, die dem Fußball von Borussia Mönchengladbach der
Netzer-Ära nachtrauern und nicht so sehr bei gestandenen Bayern-Anhängern. Wie
man weiß, sind sich die Bayern in der Vergangenheit nicht zu fein gewesen, dann
und wann zu ihrem sprichwörtlichen Dusel Zuflucht zu nehmen (die letzte Saison
war die rühmliche Ausnahme). Dagegen hat es nach der Selbsteinschätzung mancher
Gladbach-Romantiker in deren goldender Ära so etwas wie dreckige Arbeitssiege
niemals gegeben. Immer kam Netzer aus der Tiefe des Raumes mit wehendem
Goldhaar, um den Ball zu streicheln und dem Spiel die entscheidende Wendung zu
geben. Dass es zu dieser Zeit bei Gladbach auch einen Berti Vogts gab, wird von
diesen Romantikern ja oft schamhaft verschwiegen.
Nur bringt uns das nicht weiter. Der Kern des Rumpelfußballs
liegt immer noch vor uns wie ein ungeöffnetes Ü-Ei. Ganz sicher ist allerdings,
dass es sich beim Rumpelfußball um ein sehr deutsches Phänomen handeln muss –
andere Nationen haben dafür so wenig ein Wort wie für andere sehr deutsche
Phänomene wie Weltschmerz oder Blitzkrieg. Mag also sein, dass diesem Begriff
noch eine strahlende internationale Karriere bevorsteht.
Das zentrale Problem des Begriffes „Rumpelfußball“ ist seine
Unschärfe. Was rumpelt denn beim Fußballspiel? Ein Zug rumpelt über Weichen,
ein Jumbo rumpelt zur Startbahn. Rumpeln könnte man als dumpfes Klopfgeräusch
definieren, das mit einer schwerfällig-ungelenken Bewegung einhergeht. Vielleicht
liegt darin ein Hinweis. Rumpelfußball könnte also ein Ausdruck dafür sein,
dass die Spielweise einer Mannschaft ungelenk und schwerfällig wirkt, dass
vielleicht auch überdurchschnittlich oft Spieler im Zweikampf oder bei
Kopfballduellen zusammenrumpeln. Ein dumpfes Klopfgeräusch kann hierbei ja
durchaus auftreten.
Wenn dem so wäre, dann müsste man aber vermutlich 99,5
Prozent allen Fußballs als Rumpelfußball qualifizieren. Onkelchen weiß wovon er
redet, schließlich war er sechs Jahre lang am Wochenende als Sportreporter
eines obskuren und längst vergessenen Lokalsenders auf den zugigen Plätzen
unterklassiger Fußballvereine unterwegs. Oft lief bei den Spielen nicht viel
zusammen, durchdachte Spielzüge waren Mangelware, erfolgversprechende Angriffe
oft Zufallsprodukte. Und doch wäre Onkelchen nie darauf gekommen, das Gebotene
als Rumpelfußball abzuqualifizieren. Lieber suchte er Zuflucht bei einem
Ausdruck, den Marcel Reif immer zu benutzen pflegte, wenn er einen besonders
robusten Abwehrspieler charakterisierte: „Dem ist nichts Menschliches fremd“.
Schließlich musste sich Onkelchen ja auch auf dem Fußballplatz der
entsprechenden Mannschaften wieder sehen lassen können.
Nein, der Begriff Rumpelfußball wird ja in der Praxis oft
verwendet, um eine ganz bestimmte, sehr deutsche Spielweise abzuqualifizieren.
Stellvertretend werden dafür die achtziger Jahre unter Derwall und dem frühen
Beckenbauer genannt, in denen die deutsche Nationalmannschaft einen defensiv-
und zweikampfbetonten Stil pflegte und taktische Feinheiten geflissentlich
ignorierte. Es war die Zeit der Manndecker wie Karl-Heinz und Bernd Förster,
der Briegels und anderer, denen außerhalb Deutschlands der Ruf kompromissloser
Knochenbrecher voranging. Fußballerisch feinsinnigere Teams wie Frankreich
wurden in diesen Jahren gnadenlos niedergewalzt. Besonders das WM-Halbfinale
1982 blieb jenseits des Rheins in unguter Erinnerung.
Aber war das Rumpelfußball? Immerhin fanden sich mit
Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Fischer, Lothar Matthäus (ja, auch der!), später
auch Felix Magath und Rudi Völler einige der unbestritten besten Fußballspieler
jener Zeit in den Reihen der Deutschen. Auch Manni Kaltz sollte hier nicht
unerwähnt bleiben, war er doch der Prototyp des modernen Außenverteidigers. Und
seine Bananenflanken sind auch heute noch unvergessen.
Ja, es war viel Kampf dabei. Aber war das Rumpelfußball? War
es Rumpelfußball, als die Deutschen in Japan und Südkorea 2002 ins Finale
einzogen und den Brasilianern lange Paroli boten? War es 1974 Rumpelfußball,
als die Deutschen den totalen Fußball der Niederlande entzauberten (wobei ihnen
sicherlich die Tatsache zu Hilfe kam, dass sie bei der WM Heimrecht hatten)?
Nein, denn dazu ist der Begriff Rumpelfußball zu unkonkret.
Wer an einer Spielweise etwas auszusetzen hat, kann das ja durchaus benennen. Früher
sprach man von einem rustikalen Stil, wenn man sagen wollte, dass ein Team in
der Defensive gut zulangte. Spielte eine Mannschaft grottig und unter ihrem
sonstigen Potenzial, dann attestierte man ihr Kreisklasse-Niveau. Beobachtete
man taktische Defizite, dann sprach man das an. Wir haben also die
Ausdrucksmöglichkeiten, um Defizite und Desiderate im Fußball klar
anzusprechen. Wer aber vom Rumpelfußball spricht, dem geht es nicht um die
Diskussion. Wer den Rumpelfußball in den Mund nimmt oder zu Papier bringt, will
verletzen. Der Rumpelfußball ist also das verbale Äquivalent einer
Blutgrätsche und sollte entsprechend bestraft werden!
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