Eigentlich war gestern ein Tag, an dem die pure Freude hätte
walten sollen. Das Wetter war schön, Onkelchens Nichte (eine talentierte
Fußballerin, deren Verwandtschaftsgrad zu mir wir hier nicht diskutieren
wollen) feierte Konfirmation, Onkelchen hielt sich sogar mit seinen Sprüchen
zur vermeintlichen Überlegenheit des Sedisvakantismus zurück. Dafür vertilgte er
Schnitzel und jede Menge Kuchen.
Aber ach. Je näher die Uhrzeiger gegen 17 Uhr krochen, desto
mehr verfinsterte sich Onkelchens Gemüt. Er, der noch am Morgen die Akustik der
Kirche fast bis zum Zerbersten hin auf die Probe gestellt hatte, seufzte nur
noch matt. Denn das letzte Stündelein des Hamburgosaurus vutbalicus schien
angebrochen. Der einst stolze Europapokalsieger aus der Hansestadt dämmerte
seinem Abstieg entgegen. Erst mit mehr Glück als Verstand auf dem
Relegationsplatz verblieben, hatte der HSV, man kann es nicht anders sagen, im
Hinspiel gegen den wackeren Zweitligisten Greuther Fürth sie Chance auf so
etwas wie eine Vorentscheidung vergeigt und musste sich glücklich schätzen,
daheim im Volkspark nicht gar noch verloren zu haben.
Nun also gestern das Rückspiel in Franken, und dort musste der
Hamburgosaurus vutbalicus nicht nur gegen die fränkischen Fußballer nebst Fans
bestehen, sondern auch gegen eine unheimliche US-Connection, denn Amerikas
früherer Außenminister Kissinger ist bekennender Anhänger der Fürther. So
sprach also alles gegen die Hamburger.
Bis Lasogga zuschlug.
Onkelchen verfolgte die Partie zu diesem Zeitpunkt auf dem
Kicker-Ticker seines Handys, und langsam schöpfte er wieder Hoffnung.
Pierre-Michel Lasogga, der Rammbock in Menschengestalt, hatte zumindest einen
Ball in das Fürther Tor gewuchtet. Onkelchen hat ja seit den Zeiten eines Horst
Hrubesch und eines Dieter Hoeneß – obwohl der für die verhassten Bayern spielte
– eine Schwäche für solche Brechertypen, die dahin gehen wo’s weh tut, sich
hinauf schrauben und bezeichnenderweise mit dem Eisenschädel den Ball ins Netz
befördern. Insofern ist Lasogga die Antithese zu dem Feingeist-Fußball eines
Pep Guardiola. An dessen Ballbesitz-Philosophie versuchen sich ja bereits
Feuilletonisten der einschlägigen Presse, ganz besonders der Süddeutschen. Ein Lasogga zeigt diesen
Feingeistern und -füßen dagegen den Vogel. Gemessen an seiner Torquote war er
der effektivste Stürmer, den der HSV jemals besessen hat.
Dass der HSV den Klassenerhalt darüber hinaus vor allem dem
tapferen Torhüter Drobny verdankte, der nach dem Fürther Gegentor in der
zweiten Halbzeit alles hielt, was auf seinen Kasten kam, muss hier natürlich
auch erwähnt werden. Doch im Gegensatz zu Drobny wäre Lasogga auch in der Lage,
Jogis Jungs auf dem Weg zum vierten WM-Titel zu unterstützen. Die Kaderauswahl
von Bundestrainer Löw treibt ja vor allem im Sturmbereich seltsame Blüten:
Neben einem Fußballrentner nominierte der Badener bekanntermaßen ein
internationales Greenhorn, das bisher 0 (in Worten: Null) Länderspiele
aufzuweisen hat.
Zwar wissen wir, dass Löw im offensiven Mittelfeld aus dem
Vollen schöpfen kann. Doch es drängt sich der Verdacht auf, dass mit Ausnahme
von Reus und vielleicht Thomas Müller die Stärke der übrigen Offensivkräfte
eher darin besteht, den Ball am gegnerischen Strafraum endlos quer zu spielen.
Schließlich scheint die Guardiola’sche Lehre „der Sinn des Fußballspielens ist
der Ballbesitz“ auch schon tief in die Nationalmannschaft eingedrungen zu sein.
Ein Lasogga als kantiger Brechertyp mit eindeutigen Vorteilen in den
Kopfballregionen würde die Feingeister hier nur stören. Mal sehen, ob man das auch noch so
sieht, wenn nach der Vorrunde schon Schluss für den Brasilien-Ausflug von Herrn
Löw und seinen Jungs sein sollte.
Egal aber, ob Lasoggas Zukunft den gebürtigen Gladbecker nach Berlin, in die Premier League oder sonstwohin führen sollte (warum nicht nach Dortmund als Lewandowski-Ersatz?), eines ist jetzt schon klar: Nicht zuletzt dank Lasoggas Tor ist der Hamburgosaurus vutbalicus für dieses Mal nochmal in der Liga dringeblieben. Dass Lasogga sich in diese möglicherweise letzte Partie reingehängt hat wie kaum ein anderer der Fußballsaurier-Veteranen (und das obwohl seine Leihe ablief), ist ihm hoch anzurechnen. Er hat gezeigt, dass er das Herz am rechten Fleck hat. Wollen doch mal sehen, ob ihn das nicht noch für höhere nationale und internationale Aufgaben qualifiziert!
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