Das Ergebnis der US-Wahl steht jetzt ja fest. Joe Biden wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden. Aber erst mit großer Verspätung – es war doch eine engere Kiste, als viele erwartet haben. Also lagst du mit deiner Vermutung doch ganz richtig. Allerdings scheint der derzeitige Amtsinhaber das Ergebnis nicht anerkennen zu wollen. Er wittert allerorten Wahlbetrug und droht deshalb mit Klagen. Ziemlich schlechter Stil, nicht wahr?
In der Tat macht Trump nicht das, was man von einem fairen Sportsmann erwarten würde – akzeptiere die Niederlage, räume das Feld und get over it. Das war wahrscheinlich auch nicht zu erwarten. Trump ist nicht cool, er kann es nicht ertragen, zu verlieren oder Zweiter zu sein. Das hat man spätestens bei seiner Amtseinführung gemerkt, als man die Luftbilder von Obamas Angelobung, wie die Österreicher sagen würden, mit denen von Trumps Vereidigung verglich. Bei Obama erstreckten sich die Menschenmassen bis zum Horizont, bei Trump waren bedeutend weniger Leute gekommen. Trump beharrte darauf, dass seine Amtseinführung trotzdem besser besucht gewesen sei als die von Obama und schwadronierte von "alternativen Fakten". Trump hätte er es auf das Wetter schieben können. Denn bei Obamas Vereidigung schien die Sonne - es war ein klarer, aber frostiger Tag - , während bei Trump nasskaltes Nieselwetter herrschte. Trump hätte einfach sagen können: Ach komm, die Leute sollen sich meinetwegen nicht erkälten. Aber er war nicht cool.
Also ist Trump einfach nur ein schlechter Verlierer?
Könnte man meinen. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, ob an seinen Wahlbetrugs-Vorwürfen irgendetwas dran ist. Mich erinnert die ganze Sache sehr an die Urheberrechtsklage der US-Softwarefirma SCO in den frühen 2000ern. SCO war der Meinung, das freie Betriebssystem Linux sei ein unrechtmäßiges Derivat von Unix. Da sich SCO vereinfacht gesprochen als rechtmäßiger Eigentümer des Unix-Quellcodes sah, verklagte sie alle möglichen Firmen, die Linux einsetzten, allen voran IBM. Aber auch private Linux-Nutzer befanden sich im Fadenkreuz dieser Firma. Interessant dabei war, dass SCO nie belegen konnte, worin denn der Code-Diebstahl bestand und wo Linux von Unix kopiert hatte. Es war alles aus meiner Sicht nur Geraune. Es gab zwar durchaus Leute in der Branche, die die SCO- Anwürfe für nachvollziehbar hielten - so um 2004 herum unterhielt ich mich mal anlässlich eines Softwarekongresses in Berlin mit Leuten von Sun Microsystems, und die meinten dann in Bezug auf SCO: "They have a case", also zu deutsch, "es gibt da schon Belege". Aber SCO verlor das Verfahren nach mehreren Jahren in Bausch und Bogen. Es stellte sich nämlich unter anderem heraus, dass sie gar keine Rechte an Unix hatten, wie sie behaupteten.
Also basieren Trumps Anklagen auf Schall und Rauch?
Das kann sein. Allerdings haben sich gerade die US-Demokraten in der Geschichte immer wieder als exzellente Spezialisten beim Thema Wahlfälschung hervorgetan. Das geht auf das 19. Jahrhundert zurück. In großen Städten wie New York, Boston, Chicago, Kansas City, Philadelphia waren die lokalen Parteibosse enorm einflussreich. Das ging zum Teil sogar soweit, dass sie Einwanderern Jobs verschaffen konnten und als Gegenleistung Loyalität für die Partei verlangten. Die sogenannte "political machine" verlangte Unterstützung und bot dafür Arbeit, Geld oder geldwerte Vorteile. In der Regel zogen Bosse die Fäden, die in der Öffentlichkeit kaum auftraten. Aber sie bestimmten, wer in politische Ämter gewählt wurde. Bestechung und Wahlbetrug waren da an der Tagesordnung – bis weit ins 20. Jahrhundert.
Waren das nur die Demokraten oder gab es das auch auf der anderen Seite?
Ich denke, auf der Seite der Demokraten war das System einfach ausgeprägter. Die Demokraten waren schon damals die Partei der großen Städte. In Kansas City gab es in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zwei rivalisierende demokratische Gruppen - die einen nannten sich die "Ziegen" und die anderen waren die "Kaninchen". Die Republikaner spielten damals keine Rolle! Der renommierte US-Historiker David McCullough schreibt in seiner Biographie über den US-Präsidenten Harry S. Truman, wie es damals bei diesen beiden Gruppierungen der Demokraten zuging: "Einschüchterungen in den Wahllokalen, Stimmenhäufung, der Diebstahl von Wahlurnen, Stimmenkauf mit Whiskey oder Bargeld, Straßenschlachten allerorten (...) wurden angewandt, um zu bestimmen, welche Seite innerhalb der Partei die Oberhand behielt." McCullough zitiert einen ungenannten Zeitgenossen: "Wahlbetrug waren zur Kunstform geworden." Und der Preis war immer Macht, Jobs, Einfluß oder Geld.
Ups. Da wurde wirklich mit harten Bandagen gekämpft.
In der Tat. Dieses System hat sich lange gehalten. Auch John F. Kennedy wäre wahrscheinlich ohne massiven Wahlbetrug nicht zum Präsidenten gewählt worden. Der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh hat in seinem Buch The Dark Side of Camelot die Verbindungen der Kennedys zur Chicagoer Mafia beleuchtet. Der damalige Mafiaboss Sam Giancana scheint demnach wesentlich daran beteiligt gewesen zu sein, dass Kennedy in Chicago genug Stimmen bekam, damit er die Wahlmännerstimmen von Illinois für sich verbuchen konnte. Seymour Hersh schreibt, dass es damals wohl enge Verstrickungen der Gewerkschaften mit der Mafia gab. Und es war wohl Joe Kennedy, also der Vater von JFK, der sich an den Mafiaboss wandte. Zumindest offiziell scheint JFK nichts davon gewusst zu haben. Oder er zog es vor, darüber nichts wissen zu wollen.
Richard Nixon, der damalige republikanische Gegenkandidat von John F. Kennedy, wusste natürlich sehr wohl, was abging. Er sah allerdings, dass er keine Handhabe gegen JFK hatte, also unternahm er nichts und gestand seine Niederlage ein. Er wusste, dass er das Blatt mit juristischen Schritten nicht wenden konnte, also machte er gute Miene zum bösen Spiel. Ihm war sehr klar, dass es ihm in keiner Weise nützen würde, wenn er als schlechter Verlierer aus dem Rennen ging.
In gewiser Weise ließen die Kennedys hier eine Familientradition fortleben: Kennedys Großvater mütterlicherseits, John F. Fitzgerald, der unter anderem Bürgermeister von Boston gewesen war, war 1919 aus dem Repräsentantenhaus ausgeschlossen worden, weil ihm bei der Wahl 1918 Betrug in großem Stil nachgewiesen worden war. Das Wahlkomitee hatte entdeckt, dass in einer Reihe von Bostoner Wahlbezirken rund ein Drittel der Stimmen illegal abgegeben worden war. Fitzgerald musste seinen Sitz im Kongress aufgeben.
Aber die Republikaner sind doch auch keine Kinder von Traurigkeit, oder?
Nein, das hat man im Jahr 2000 bei Bush gegen Gore gesehen. Aber die Taktik der Republikaner ist eine andere. Das bevorzugte Mittel der Demokraten ist in der Geschichte das sogenannte ballot-stuffing gewesen: Im Extremfall bedeutet das, die Urnen mit möglichst vielen Stimmen für den bevorzugten Kandidaten zu füllen, egal, ob die Wahlzettel legal oder illegal abgegeben wurden. Die Taktik der Republikaner ist eher die des vote denial: Man versucht hier, schon im Vorfeld die Wählerverzeichnisse bestimmter Bezirke von Namen zu bereinigen, die möglicherweise mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind oder aus anderen Gründen nicht wählen dürfen. Und ups- wenn da mal jemand aufgrund einer Namensgleichheit gestrichen wird - Tja, Pech gehabt. Also die Demokraten versuchen, möglichst viele Stimmen für ihre Kandidaten zu generieren, die Republikaner suchen dagegen das Stimmpotenzial ihrer Kontrahenten zu reduzieren. Historisch gesehen haben aber beide Parteien, wenn es um das Thema Wahlbetrug geht, keine ganz weiße Weste.