Wenn man in Binz,
dem möglicherweise schicksten Badeort auf der Insel Rügen, gegen
Abend über die Strandpromenade geht, dann fallen dem geneigten Gast
einige Londoner Taxis auf, die an der Seebrücke auf Gäste warten.
Dem anfänglichen Staunen folgt dann schnell ein weiteres. Denn wenn
man die Chauffeure der Taxis anspricht, erfährt man, dass diese
Droschken kostenfrei unterwegs sind – sofern man sich von ihnen zu
„Omas Küche“ kutschieren lässt, dem vermutlich ulkigsten und
ungewöhnlichsten Restaurant auf der Insel.
Wer zu „Omas
Küche“ möchte, tut gut daran, eines dieser Londoner Taxis zu
besteigen, denn das Lokal liegt ein gutes Stück von der
Strandpromenade entfernt. Tankstellen und Supermärkte bilden die
Nachbarschaft. Im Inneren hat sich aber ein verrücktes Kleinod
erhalten, das man gesehen haben muss.
Als also Onkelchen
und Tante Dilein dort ankamen, ohne Reservierung und unangemeldet,
wurden die beiden in ein kleines Séparée gesteckt, die sogenannte
„Kleine Bibliothek“. Das ist nämlich eine der Überraschungen
von „Omas Küche“: Es gibt nicht den einen großen Gastraum,
sondern deren mehrere, die aber ganz unterschiedlich eingerichtet
sind. In der „Kleinen Bibliothek“ gibt es unglaublich viele
Bücher, Musikinstrumente hängen an den Wänden, und an der
Stirnseite des mit Büchern (hatte ich das schon erwähnt?) voll
gestellten Raumes befand sich ein Monitor, auf dem in Endlosschleife
der berühmte Film „Die Feuerzangenbowle“ lief.
Trotz der Tatsache,
dass die „Feuerzangenbowle“ in der Schlussphase der Nazizeit
gedreht wurde, ist diese Hommage an die Schulzeit einer der
bezauberndsten deutschsprachigen Filme. Tante Dilein kann die Dialoge
sogar auswendig. Onkelchen schafft das nur bei Krawallstreifen wie
„Star Wars“ oder „Jurassic Park“. Dazu kommt, dass sich in
dem Städtchen, aus dem Tante Dilein stammt, hartnäckig das Gerücht
hält, die Innenaufnahmen der „Feuerzangenbowle“ seien in dem
dortigen alten Pennal entstanden. Und während die beiden mit einem
nostalgischen Lächeln der berühmten Szene folgten, in der Heinz
Rühmann alias Pfeiffer (mit drei f) zusammen mit seinen
Klassenkameraden die alkoholische Gärung am eigenen Leibe erfahren
(hier half dem armen Lehrer Dr. Crey nicht einmal mehr sein
Bestseller „Die Gerechtigkeit des Lehrers unter besonderer
Berücksichtigung der höheren Lehranstalten“ weiter), kam
schließlich der Ostseelachs mit Stampfkartoffeln. Und es mundete,
gefolgt von einem Schnäpschen.
Hinterher ließen sich die beiden ganz standesgemäß von einem der Londoner Taxis nach Hause kutschieren. Das kostete zwar ein bisschen was; das war Onkelchen und Tante Dilein aber vollkommen egal. Falls die beiden also wieder mal nach Rügen kommen sollten (was laut Onkelchen keine Frage des „Ob“, sondern nur des „Wann“ ist), werden sie deshalb ganz bestimmt wieder bei „Oma“ hereinschneien.